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Workshop & Lesung Chinelo Okparanta

Workshop und Lesung mit Chinelo Okparanta

Wie viele verschiedene Bedeutungen der Begriff der Übersetzung annehmen kann, wurde spätestens bei der dritten Veranstaltung der Reihe „Über Übersetzen“ klar, als die nigerianische Autorin Chinelo Okparanta mit ihrer preisgekrönten Kurzgeschichte „America“ an der Heinrich-Heine-Universität zu Besuch war.

In Chinelo Okparantas Kurzgeschichte „America“ geht es um die nigerianische Lehrerin Nnenna, die bereits seit drei Jahren auf ein Visum für die USA wartet, um dort mit ihrer Freundin Gloria wiedervereint zu sein. Denn dort müssten die beiden aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Beziehung keine Haft- oder Todesstrafen fürchten. Nach zwei erfolglosen Visumsanträgen bietet sich endlich die Gelegenheit: Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko eignet sich als idealer Vorwand, nach Amerika zu reisen und vor Ort Studien über Maßnahmen anzustellen, die auch im verseuchten Nigerdelta umgesetzt werden könnten. Doch gerade, als dem Liebesglück der beiden Frauen nichts mehr im Weg zu stehen scheint, kommen Nnenna plötzlich Zweifel: Will sie ihr Heimatland wirklich hinter sich lassen? Lässt sie es für die Verlockungen des großen Amerika im Stich oder hört sie auf das Drängen ihrer Mutter, sich nicht abzuwenden wie all die anderen Gebildeten, sobald sie die Gelegenheit dazu bekommen?

Diese Hin- und Hergerissenheit Nnennas spiegelt das Hin und Her der Kulturen wider, in dem sich auch Übersetzungsprozesse oftmals abspielen, und kam somit im Laufe der gesamten Veranstaltung immer wieder zur Sprache. Doch vor allem im internen Workshop zeigte sich, dass auch bei ganz konkreten Übersetzungsfragen zwischen zwei Sprachen reichlich Diskussionsbedarf bestehen kann: Wenn es im englischen Original heißt „The wind has blown and the bottom oft he fowl has been exposed“, darf man die Verwirrung des deutschen Lesers dann damit auflösen, dass man in der Übersetzung stattdessen „die Katze aus dem Sack“ lässt, oder würde man die Geschichte damit schon zu sehr ihrer eigenen Kultur entreißen? Bezieht sich das Sprichwort in diesem Kontext ausdrücklich auf eine hässliche Tatsache, die ans Licht kommt, und in diesem Fall: Gibt es hässliche Katzen?

Dank Diskussionen dieser Art wurde der Workshop kein einseitiges Frage-Antwort-Spiel, sondern ein gegenseitiger Austausch, der auch der Autorin nochmals Stoff zum Nachdenken lieferte: „I have to re-read the story“ oder „You gave me something to think about“ lautete nicht selten Okparantas Fazit aus den Gesprächen. Zudem unterstrich sie den Wert und die Eigenständigkeit der Übersetzung unabhängig von und als Ergänzung des Originals: „Once the author wrote the book, it’s out of my hands. From that point on, everything is up to you as readers and translators.“

Nachdem alle Fragen geklärt waren, war es zunächst an den studentischen Übersetzerinnen Freyja Melsted und Charlotte Linss, dem öffentlichen Publikum im Rahmen der „gläsernen Übersetzung” im großen Sitzungssaal der Universitäts- und Landesbibliothek ihre Arbeit an „America“ näher zu bringen. Per Beamer konnten die Zuschauer nachvollziehen, wie das Übersetzerteam am Laptop die ersten Arbeitsschritte rekonstruierte. Dabei schilderten sie auch, wie der Übersetzungsprozess teilweise per Skype-Konferenz und mit vier offenen Word-Dokumenten gleichzeitig ablief – und ihre Lektorin Yvonne Kappel fügte hinzu, dass jeder neue Lektoratsdurchlauf neue Problemstellen aufgedeckt habe.

Die anschließende zweisprachige Lesung, bei der Okparanta und Linss im Wechsel Passagen aus ihrer jeweiligen Version der Geschichte präsentierten, leitete Nora Gormanns aus dem Studiengang Comparative Studies mit einem Vortrag ein, bei dem sie das Publikum auf eine Reise durch Übersetzung in Theorie und Praxis mitnahm. Sie zeichnete darin das Bild von Übersetzung als Zwischenbau zweier Kulturen, was gerade für diese Kurzgeschichte ein passender Aufhänger war, da auch Nnenna zwischen zwei Kulturen steht und zwischen den beiden zu verhandeln versucht.

Auch im Anschluss an die Lesung wusste Okparanta wieder zu überzeugen und zu fesseln: Ausführlich und eloquent, doch stets fokussiert und eindringlich beantwortete sie die Fragen aus dem Publikum. Die Erkundigung, ob sie sich aufgrund ihrer Wurzeln als nigerianische oder aufgrund des Landes, in dem sie seit Kindertagen lebt, als amerikanische Autorin sieht, tat sie in ihrer typisch charismatischen Art mit einem „Good luck to people who think in categories“ ab – mit dem „Zwischenraum“ zwischen kulturellen Identitäten, der auch in der Übersetzungstheorie eine große Rolle spielt, hat Okparanta offensichtlich wenig zu kämpfen.

Für ernstere Töne sorgte zwischenzeitlich das Thema der nigerianischen Gesellschaftspolitik, insbesondere der gesetzlich unterfütterten Diskriminierung Homosexueller. Anschaulich und explizit schilderte Okparanta die Drohnachrichten und negativen Rezeptionen, die sie für ihre Kurzgeschichte – und auch ihren ersten Roman, Under the Undala Trees – in ihrem Herkunftsland erhalten hat, berichtete von Buhrufen bei Panels bis hin zu halb zensierten Radiosendungen. Wie kaum ein anderes Thema an diesem Abend war der Wahrnehmungskontrast aus Skandalbuch in Nigeria und hochwertiger kulturwissenschaftlicher Literatur in Deutschland dazu geeignet, allen Anwesenden die kulturellen Kluften vor Augen zu führen, denen Übersetzer zuweilen gegenüberstehen.

Die nächste zweisprachige Lesung der Reihe findet am 19.01.2017 ab 19:30 Uhr in der Buchhandlung BiBaBuZe in Düsseldorf-Bilk statt. Dann wird die kenianische Autorin undefinedOkwiri Oduor mit ihrer Kurzgeschichte „My Father’s Head“ zu Gast sein.

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